Eine Geschichte in 3 Kapiteln
Lass es Seide sein

Stoffe, Stoffe und noch mehr Stoffe. Dieser Laden war der absolute Traum für jeden, der in irgendeiner Weise Fabrikationen aus Baumwolle, synthetischen Fasern oder sonst irgendwelchen gewebten Materialien verarbeitete. Überall strahlte es nur so vor kunterbunten Farben und noch bunteren Mustern. Glänzende Stoffe reihten sich bis unter die Decke an matte und ein weiteres Regal war gefüllt mit Kunstfellen und Lederwaren. Zwischendrin fand man noch allerhand Kleinigkeiten. Egal ob Reißverschlüsse, Knöpfe, Verschlüsse oder Ösen. Genauso wie kleineres Handwerkszeug, das man für die Verarbeitung der gekauften Stoffe unweigerlich benötigte. Alles in Allem fehlte wohl nur noch eine Auswahl an Nähmaschinen, um jegliche Nöte von Schneidern zu beseitigen. Clarice war zwar nicht unbedingt Schneiderin, liebte diesen Laden jedoch über alles. Einmal im Monat kam sie hier her, um die neuen Stoffe zu bewundern und um ihr Atelier damit zu füllen. Das war dann auch das einzig teure Laster, dem sie regelmäßig frönen konnte. Bei weiteren Ausgaben hatte sie stets den nörgelnden Ton ihres Finanzbeauftragten im Ohr. Der legte ihr ständig nahe, sie solle das eingespielte Geld doch lieber für weitere Arbeitskräfte ausgeben, als für Kleinkram, der dann monatelang nicht genutzt werden konnte, weil einfach zu viele Projekte gleichzeitig anstanden. Bei diesem Gedanken verdrehte Clarice die Augen. Sie hatte sich mittlerweile meterweise Stoff zuschneiden lassen und stand nun vor der freundlichen Kassiererin. Diese wechselte kaum ein Wort mit der Kundin. Sie kannte Clarice und ihre Eigenart, eher mit sich selbst zu sprechen, als mit anderen. Allerdings tippte sie, wie selbstverständlich, den Stammkundenrabatt in die Kasse ein und gab dem Finanzbeauftragten der Selbstständigen damit weniger Grund, sich zu beschweren. Nicht, dass die Kassiererin den Mann gekannt hätte. Oder sonst jemanden oder etwas aus dem Atelier der Modedesignerin. Clarice war sich auch gar nicht sicher, ob ihr Gegenüber überhaupt wusste, dass sie selbstständig war.

"Wahrscheinlich interessiert es sie auch gar nicht", ging es ihr durch den Kopf.

Mit einem kaum merklichen Schulterzucken schnappte sich Clarice ihre insgesamt fünf roten Stofftaschen und machte sich damit auf den Weg zu ihrem Atelier. Der Schneider und seine beiden Kolleginnen würden schon dort sein und an den Kleidern für die nächste Modenschau arbeiten.

Zumindest hoffte Clarice das.

Dieses Kapitel wurde von Aerithx3x3 geschrieben und am Montag, 30. April 2018, 00:13 Uhr veröffentlicht. Es enthält 362 Worte.

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Es ist wieder so weit.

Ich vermute mal, heute wird sie kommen. Heute muss sie kommen. Heute ist der richtige Tag, die Vorräte wieder neu zu füllen.

Es ist zum heulen, aber Stoff geht irgendwie gerade nicht so. Entweder hat Stanley den falschen Riecher gehabt und einfach falsche Farben oder Muster gekauft, sich eben mal im Saisontrend vertan. Oder diese Saison ist Stoff einfach nicht so angesagt. Mehr Stangenware oder kommt etwa wieder Selbstgestricktes? Um Himmels Willen.

Ich muss unsere Liquidität prüfen. Wenn wir diese Woche nicht nochmal grosses Glück haben und diese verrückte Designerin kommt, dann wird das eine extrem schlechte Woche. Hätte ich nur nicht auf Stanley gehört. Wie konnten wir so sehr auf Brokat und Tüll setzen? Wir hätten viel gleichmässiger bestellen sollen. Mist.

Ja! Da ist sie! Ich wusste es, sie wird kommen. Oh Jubel, heute kann ich wenigstens ein bisschen was zur Bank bringen.

Jetzt nur nicht stören. Nicht ansprechen. Die Dame will ungestört sein, sie unterhält sich nicht gerne, während sie auswählt. Wahrscheinlich ist sie in Gedanken schon bei der neuen Kollektion.

Diese Weitschweifigkeit, diese Gesten. Wie, wenn sie alleine im Laden wäre. Gut, es kam schon mal vor, dass sich eine andere Kundin beschwerte wenn „La Clarice“ raumgreifend durch den Laden schwebte und sich ihre Proben über den Tischen auszog. „La Clarice“ haben wir sie genannt, als Stanley zum ersten Mal herausgefunden hatte, wohin sie mit ihren Tüten verschwand. Und wie das passt: Madame La Clarice.

Hinterher musste ich oft über eine Stunde Ballen um Ballen und Rolle um Rolle wieder aus dem Haufen sortieren und die Regale zurückstecken. Stanley war die Höflichkeit in Person, las ihr jeden Wunsch von den Augen ab und blieb dezent im Hintergrund. Ich warte üblicherweise an der Kasse, rechne im Kopf schon mal hoch, was ich dieses Mal rausholen kann und hab auch den aktuellen „Rabattsatz“ schon parat. Bitte schön, dann gebe ich die Dame an der Kasse und hier sind deine fünf roten Tüten. Ein bisschen Theater spiele ich doch gerne mit.

Wahrscheinlich hat sie keine Ahnung, dass ich eigentlich die Chefin ihres Lieblingsstoffladens bin. Wahrscheinlich weiss sie auch nicht, dass wir ihren Besuch rot im Kalender markieren. Wahrscheinlich weiss sie im Besonderen nicht, dass wir ihr Atelier kennen und bei jeder ihrer Modenschauen im Publikum sitzen. Schliesslich müssen wir ja für die nächste Saison vorplanen.

Und jetzt rufe ich ihren Mann an und gebe ihm Bescheid.

Dieses Kapitel wurde von Magnus geschrieben und am Sonntag, 29. April 2018, 21:12 Uhr veröffentlicht. Es enthält 401 Worte.

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Er hatte keinen Bock mehr, es war jetzt schon kurz vor 4 und er war hundemüde und schlief fast ein.

Die halbe Nacht durch gefahren, der Kollege aus der Vorstadt hatte wieder irgendeine Scheisse mit seiner Frau und hatte kurzfristig abgesagt. Toll, dann ruft der Chef immer ihn an. Wie wenn er der Mitarbeiter des Monat wäre. Der Ausputzer des Jahres, das Mädchen für alles. Nächstes Mal würde er mehr Kohle verlangen. Zuschlag für Endlosschichten.

Scheiss Karre! Hatte er dem Chef doch gesagt, dass der Motor die Leerlaufdrehzahl nicht hält. Immer musste er Zwischengas geben, wie wenn wir noch im letzten Jahrtausend wären. Und jetzt schon wieder grün und der verkackte Motor geht aus.

Er hatte keinen Bock mehr. Noch ein mieser Fahrgast und er würde explodieren.
Da winkte eine Tussnelda mit fünf riesigen roten Tüten.
Äh...

OK, die sah nach Trinkgeld aus.
Mit kratzender Bremse zog er in die Parkbucht kurz nach der Dame und schaltete die "Besetzt"-Lampe ein.

Dieses Kapitel wurde von Magnus geschrieben und am Montag, 30. April 2018, 17:27 Uhr veröffentlicht. Es enthält 160 Worte.

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