Eine Geschichte in 10 Kapiteln
Co-Kreationen sind unter Autorinnen eine sehr umstrittene Sache. Während es zunehmend mehr erfolgreiche Bücher gibt, die von mehreren Autorinnen verfasst wurden, möchte die überwiegende Mehrheit der Schreibenden lieber selbst und alleine an einer ausgetüftelten Geschichte schreiben.
Stört eine zweite oder weitere Person den kreativen Schaffensprozess beim Schreiben? Dieser Frage will ich in ein paar Interviews nachgehen...
Im Jahr 2006 gewann sie den Ingeborg-Bachmann-Preis. Passig bezeichnet sich als „Sachbuchautorin und Sachenausdenkerin“ und arbeitet gelegentlich als Zeitungsjournalistin. Ihre Bücher wurden in elf Sprachen übersetzt.
Frage: Co-Kreationen scheinen für dich zum Arbeitsalltag zu gehören. Wie entstehen deine Zusammenarbeiten zu Beginn? Wie kann man sich deine Arbeitsweise beim Schreiben vorstellen?
Wie meine Coautorinnen und -autoren schreiben und dass es wahrscheinlich keinen Streit über Stilfragen geben würde, wusste ich, weil wir uns an Orten im Netz kennengelernt hatten, an denen schriftlich kommuniziert wurde. An der Arbeitsweise beim Schreiben hat sich seit 2005 nicht viel geändert: Wir schreiben gemeinsam in einem Google Doc. Manchmal folgt die Arbeitsaufteilung den Kapiteln und die jeweils andere Person macht dann nur Kleinigkeiten: Verständnisfragen, Änderungsvorschläge, Überarbeitung. Manchmal schreiben wir aber auch gemeinsam an denselben Kapiteln, Absätzen, Sätzen. In beiden Fällen wissen wir schon kurze Zeit später nicht mehr, was ursprünglich von wem stammte.
Frage: Google Doc ist ein gutes Stichwort. Darf ich den zweiten Fall so verstehen, dass ihr direkt im Text gemeinsam arbeitet und statt Änderungsvorschläge zu machen, direkt den Text der Co-Autor*innen knetet und formt? Das habe ich bisher noch nie in freier Wildbahn erleben dürfen. Mich würde brennend interessieren, wie das funktioniert. Läuft das auch zeitgleich?
Das ist ja der große Vorteil von Google Docs, dass man damit zeitgleich am selben Text arbeiten kann, anders als in einigen anderen Gemeinsam-Schreib-Tools. Kleinigkeiten ändere ich direkt, größere Änderungen schlage ich manchmal als Kommentar vor, manchmal baue ich aber auch gleich selbst um. Kommt ein bisschen auf die andere Person und den Umfang der Änderung an. Wenn ich bei meinen Buch-Coautorinnen und -autoren nicht davon ausgehen würde, dass ihre Beiträge meine Texte besser machen, würde ich ja nicht mit ihnen zusammenarbeiten. (Bei Verlagslektoren und Artikel-Redakteuren, die ich mir nicht selbst ausgesucht habe, ist das anders: Da will ich alle Änderungsvorschläge sehen und bei Bedarf dagegen protestieren können.)
Frage: Ich lese aus deinen Texten einen ausgeprägt eigenen Stil heraus. Trocken, versteckt humorvoll, sarkastisch mit einem Augenzwinkern und mit einer Prise ungläubiger Distanz.
Geht der Stil nicht verloren, wenn andere Autorinnen mit in den selben Sätzen arbeiten?
Ich glaube nicht, dass es so viele unverkennbare eigene Stile wie schreibende Menschen gibt. Selbst wenn es sie gäbe: Man überschätzt die Fähigkeit der Leserinnen, Stil und Person zuzuordnen. Ich habe zu meinen Büchern schon oft den Satz gehört "Ich wusste gleich, was von wem ist". Aber wenn man dann nachfragt, ist die Trefferquote nicht besser als reiner Zufall. Ich finde es ja selbst meistens unmöglich, im Nachhinein noch festzustellen, wer welche Stelle geschrieben hat. Und wenn eine Person einen eigenen Stil haben kann, warum sollen dann nicht auch zwei Personen einen eigenen, gemeinsamen Stil haben können?
Lustig. Dann ist dein Stil gar nicht deiner, sondern ein Co-Produkt.
So habe ich es noch nie betrachtet...
Ich glaube, das ist dein Understatement. :-)
Frage: Gibt es denn auch spezielle Formen des Schreibens, bei denen du lieber alleine arbeitest oder sogar auf keinen Fall jemanden hineinlassen würdest?
Ich glaube nicht. Es gibt nur gelegentlich Texte, bei denen ich keine Leute kenne, die sich auch für das Thema interessieren. Und in den letzten Jahren habe ich überwiegend von Vorträgen gelebt – die Vortragsvorbereitung muss ich auch alleine machen, denn auf der Bühne steht man fast immer allein. Vortragseinladungen sind noch viel stärker an eine einzige Person gebunden als die traditionelle Vorstellung von Autorschaft. Reden kann halt immer nur einer.