Eine Geschichte in 4 Kapiteln
Hier kannst du dir den Text vorlesen lassen
Willkommen, liebe jungen und alten Liebhaber*innen wilder Geschichten und Abenteuer.
So wie ihr, die ihr hier her gelangt seid, lieben auch wir es, dem Alltag zu fliehen und in neue unbekannte Welten einzutauchen. Deswegen gibt es nun einen Adventskalender der ganz besonderen Art.
Eine Geschichte in 24 Kapiteln.
Jeden Tag ein neues Kapitel, den ganzen Advent hindurch bis zum Finale an Weihnachten. Ihr könnte die Kapitel selbst lesen oder ihr könnt sie euch vorlesen lassen. Entweder von euren Eltern oder von den Familienmitgliedern, die die ganze Geschichte hier gemeinsam geschrieben haben.
Wir erzählen von Luisa.
Von Simon, ihrem besten Freund aus der 6. Klasse.
Von einem geklauten Buch.
Von einem sehr seltsamen Traum.
Von wunderschönen Verzierungen auf einem gigantischen Stein.
Von einem Wald ohne Geräusche.
Von einer Mama und ihrem verzweifelten Kind.
Von einem Gedicht in einer fremden Sprache.
Und von wertvollen und mächtigen Steinen, die erhält, wer ein Abenteuer in diesen Welten besteht.
Lasst euch entführen in diese Geschichte.
Freut euch aufs Lesen, wie wir uns aufs Schreiben gefreut haben.
24 Mal kribbeln im Bauch, wenn eine neue Seite aufgeschlagen und eine neue Welt entdeckt wird.
Viel Spass.
Dieses Kapitel wurde von Magnus geschrieben und am Sonntag, 27. November 2022, 03:07 Uhr veröffentlicht. Es enthält 195 Worte.
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Vorne raus rannte Lukas, dahinter rannte Luisa und dann kam gleich Simon. Alle hatten wild tanzende Schulranzen auf dem Rücken und Lukas schrie: "Hab dein Buch, ätsche, und du wirst es nicht mehr zurück bekommen!". Luisa schrie nicht, denn sie brauchte all ihren Atem, um hinter Lukas her zu kommen. Er war fast ein Jahr älter als sie, 13, und um einiges kräftiger. Ausserdem war er im Handball. Hannes sagte, dass man beim Handball starke Jungs braucht, die auch mal zulangen können. Simon war dicht hinter ihr.
"Renn, Luisa, wir brauchen das Buch!" Simon war ihr bester Freund. Es ist zwar eher ungewöhnlich, dass man in der 6. Klasse einen Jungen zum besten Freund hat, aber Simon und sie passten einfach super zusammen. Und er war gar nicht so ein typischer Junge, auf jeden Fall tausend Mal besser als Lukas.
Lukas sprang über die Absperrung am Schulparkplatz und flitzte die alte Strasse hoch zum Wald. Keine Ahnung, wo der hin will, dachte Luisa, aber nichts wie hinterher. Ihr Atem flog und es brannte in den Lungen, weil sie noch nie so lange so schnell gerannt war. Aber sie wollte Lukas unbedingt einholen. Wenn sie das Buch nicht mehr bekam, würde ihr der Klassenlehrer nie wieder ein Buch aus dem speziellen Fundus ausleihen. Dabei hatte sie sich so gefreut als sie ein "spezielles" Buch mit weiterführenden Übungen bekommen hatte, weil sie in Mathe schon mit den normalen Aufgaben fertig geworden war. Es gab nur noch einen Mitschüler, der ein anderes spezielles Buch bekommen hatte: Hannes. Er war ein ganz spezieller Schlaukopf, der immer alles ganz anders erklären konnte als die anderen. Und als der Klassenlehrer. Er hatte ein Buch über Philosophie bekommen und sie, Luisa, eben eins über Mathe.
Simon war inzwischen gleichauf. Sie rannten beide nebeneinander und ihre Ranzen knallten gegeneinander, als Simon blitzartig aus dem Träger schlüpfte und den Ranzen einfach fallen liess. Plötzlich war er schneller. Wie ein Pfeil schoss er um die nächste Strassenecke hinter der sie Lukas kurz zuvor abbiegen gesehen hatten.
"Er will zum verfallenen Haus!" schrie er atemlos und schon gab er wieder volle Kraft.
Als Luisa am Gartentor ankam, stand Simon schon vor der Türe, wie angewurzelt. Lukas war nicht mehr zu sehen.
"Wo ist er hin?" prustete Luisa und hielt sich die schmerzende Seite. Seitenstechen, autsch, so ein Mist.
"Schau mal, Luisa, die Türe..." sagte Simon nachdenklich. Und tatsächlich: die Türe des verfallenen Hauses stand halb offen. Luisa hatte das noch nie so gesehen, denn erstens war niemand von der 6. Klasse gerne in der Nähe des verfallenen Hauses, zum zweiten war das Haus gar nicht so gut zu sehen von der Strasse aus, denn die Hecken wuchsen schon seit Jahren einfach so höher und höher.
"Ist er da rein oder warum stehst du hier wie festgenagelt?" fragte Luisa, als sie wieder normal atmen konnte.
"Ja", sagte Simon tonlos, "hab ihn reinwitschen sehen." Ihr rutschte das Herz in die Hose. Wenn Lukas da rein war, dann hiess das nichts Gutes. Sie schauten sich an und Luisa war sofort klar, dass Simon auch überhaupt keine Lust hatte, durch diese Türe in dieses Haus zu gehen.
Die beiden alten Leute, die in dem Haus gewohnt hatten, waren schon lange tot. Als kleines Kind hatte sie den Mann immer mal wieder sehr langsam und vorsichtig gehend auf dem Markt gesehen. Meist machten die Menschen einen Bogen um ihn, weil er aussah, als würde er einfach umfallen, wenn man ihn anstiess. Er war klein, uralt und runzelig, hatte aber immer ein kleines Lächeln um die Mundwinkel. Seine langen weissen Haare waren voll und buschig, was ihn wie einen Zauberzwerg aussehen liess. Aber die ganz normalen Alte-Leute-Kleider machten ihn wieder normal. Kein Umhang, kein Samtgewand, keine Sterne auf dem Mantel. Nur eine graubraune Strickweste mit Taschen, eine Hose aus dickem Stoff mit Flicken an den Knien und ein weiches Hemd mit Muster.
Hannes hatte gesagt, dass das Tweed wäre, ein Stoff aus Schottland und dass der Mann bestimmt früher wo anders gelebt hatte. Niemand hatte es geglaubt, aber es wollte auch niemand mit ihm diskutieren, sonst hätte man leicht eine halbe oder ganze Stunde verlieren können.
"Müssen wir da rein?" fragte Simon mit belegter Stimme. Luisa schluckte.
In dem Augenblick sahen sie Lukas, der sich durch die Türe drückte. Er sah sie grinsend an und rief: "Ha! Wenn ihr euer Scheiss-Streber-Buch wieder haben wollt, müsst ihr da rein. Aber das traut ihr euch ja doch nicht, weil, da spukt es nämlich drin." Lachend zog er ab und drehte sich nur noch einmal kurz um, nachdem er durch ein Loch im Gartenzaun an der Seite zurück auf die Strasse geschlüpft war.
"Sucht nur, ihr Feiglinge!"
Da standen sie. Keiner rührte sich. Es war zwar nicht so richtig kalt, aber langsam bekam Luisa klamme Finger.
Dann dachte sie an ihre Oma und den tiefen Keller dort im Haus und dass sie auch immer Angst gehabt hatte, wenn sie Getränke holen sollte. Eines Tages hatte die Oma ihr alles genau gezeigt, Licht im Keller gemacht, jede Ecke hatten sie genau untersucht. Es gab Kisten, Regale, Kanister, Flaschen mit unleserlichen Etiketten, ein bisschen Schimmel, eine kleine Spinne, ganz viel Dreck und Mauersteine in rostrot. Alles hatten sie angeschaut und Luisa durfte mit dem Handy von Oma die Stellen fotografieren, vor denen sie besonders viel Angst hatte.
Oma hatte ihr gesagt: "Luisa, am meisten haben wir Menschen Angst vor dem Unbekannten. Alles, was du kennst, verliert seinen Schrecken. Schau dir die Sachen genau an, dann machen sie dir keine Angst mehr." Und so war es gewesen. Kein Problem mehr, wenn sie in den Keller ging. Manchmal begrüsste sie sogar eine Spinne, wenn sie eine Spinnwebe in den Ecken sah.
Sie schüttelte sich kurz und lief dann einfach los, kletterte über das niedrige Gartentor und lief den Weg zur grossen schwarzen Eingangstüre hoch. Der Spalt war breit genug. Sie musste sich nicht mal anstrengen, um hinein zu kommen. Dunkelheit umgab sie.
Nachdem sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und sie Simon hinter sich gehört hatte, sahen sie sich um. Überall standen Sachen rum. Alles war so voll, dass man sich kaum bewegen konnte, alles sah uralt aus. "Wie sollen wir bei dem Durcheinander das Buch überhaupt finden?" fragte Simon hinter ihr zweifelnd. Und Luisa musste ihm Recht geben. Hier war nichts zu machen.
Ein kleiner Sonnenstrahl fiel durch eines der winzigen Fenster in einem langen Flur zwischen der Eingangshalle und irgendwelchen Türen ganz hinten. Und in diesem Sonnenstrahl tanzten unzählige Fussel und Staubkörner, das konnte man sogar von hier aus sehen. Luisa schaute gelähmt in dieses Licht und dachte an das versteckte Buch, das sie nun nicht mehr finden würden. Sie müsste es zerknirscht ihrem Klassenlehrer gestehen und ihre Mutter würde das Buch wohl bezahlen müssen. Bestimmt würde der Lehrer sie von der Liste streichen, zu unzuverlässig für ein Spezial-Buch.
Simon stupste sie an. Als sie sich ihm zuwandte, grinste er verschmitzt. "Luisa, schau dich mal um. Was siehst du hier im Überfluss?" Hm... "Krimskrams vielleicht?" gab sie zurück. "Ja, das auch," winkte Simon ab, "aber das ist nicht der Punkt. Schau doch mal genau hin... Staub!"
Tatsächlich war alles ziemlich verstaubt. Man hatte es zwar nicht gleich gesehen, als sie frisch hereingekommen waren und sich umgeschaut hatten. Aber je mehr sich die Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, desto mehr fiel es auf: alles war verstaubt.
"Hm... aber... was bringt uns das? Willst du hier nen Staubsaug-Wettbewerb gewinnen?" Simon ging in die Knie.
"Gib mir mal deine kleine Lampe." Er streckte die Hand aus und sah dabei auf den Boden. Klar, sie hatte ja immer noch den Ranzen auf und unten bei der Notfall-Ausrüstung, die sie immer dabei hatte, steckte ihre kleine LED Taschenlampe, die sie mal von Papa geschenkt bekommen hatte.
"Schau..." Simon leuchtete mit der Lampe ganz flach über den Boden. Leicht nur, aber doch merklich, hoben sich ihre Fusspuren vom restlichen unaufgewirbelten Staub ab. Sie schaute sich um. Wenn man ihre Fusspuren entdecken würde... oh weh!
Aber dann machte es Klick!
"Na klar, Simon, du bist genial. Wenn wir unsere Spuren mit der Lampe sehen können, können wir auch die Spuren von Lukas sehen!". Und da waren sie: von der Eingangshalle führten sie den Gang entlang und ganz hinten rechts um die Ecke. Langsam und sehr vorsichtig, um nicht mehr Staub aufzuwirbeln und die Spur zu verlieren, tapsten sie beide mit der Lampe am Boden hinter den Staub-Tappern her.
Nach einigen Metern und einer weiteren Ecke führte die Spur in ein großes Zimmer mit nur halb zugezogenen Vorhängen. An den Wänden standen Regale voller Bücher. Hunderte. Ach was, Tausende!
"Er hat unser Buch einfach in ein Bücherregal gestellt, Luisa! Schau, da drüben dreht sich die Spur um und... guck! Da steht es. Lukas ist so ein Trottel,“ freute sich Simon. Er zog das Buch heraus und drehte sich nach Luisa um. Dann erschrak er, denn Luisa stand wie angewurzelt im dunkelsten Teil der Bibliothek und starrte unbeweglich auf die Regale. Auch als Simon näher kam, sah er nicht, was Luisa so fesselte. Er stellte sich direkt hinter sie und tippte sie an. Er konnte spüren wie angespannt sie war.
"Was ist nur mit Luisa los“, fragte er sich verwundert.
"Lass uns hier schleunigst verschwinden“, raunte er ihr zu. Sie drehte sich zu ihm um und er konnte ihre vor Aufregung geweiteten Augen sehen.
"Siehst du es auch?“ fragte sie Simon tonlos und deutete auf das Regal vor ihnen.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Dieses Kapitel wurde von Magnus geschrieben und am Donnerstag, 01. Dezember 2022, 01:38 Uhr veröffentlicht. Es enthält 1591 Worte.
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“Das Buch ist in neue Hände gekommen!” sagte eine kratzige dunkle Stimme in einem fast ganz dunklen Raum über einem riesigen, kreisrunden Holztisch. Um den Tisch herum saßen Gestalten in dunkelgrünen Mänteln mit riesigen Kapuzen. Es mussten Mäntel sein oder vielleicht Roben, denn man konnte nichts von den Gestalten erkennen, sogar die Gesichter waren total verdeckt.
“Woher wissen wir das?” fragte eine meckernde hohe Stimme, die aus einer der Roben herausdrang. “Das Buch wurde schon lange nicht mehr weitergegeben, warum ausgerechnet jetzt?” setzte die Stimme nach.
“Der Kristall hat die Farbe verändert. Es ist eine neue Energie spürbar. Wir sind in einer anderen Lage. Es ist unverkennbar.” sagte eine kleine Stimme, ein bisschen zittrig, doch mit großer Sicherheit.
“Dann lasst uns den Rat eröffnen und einen Plan schmieden” donnerte eine der Gestalten mit einer besonders großen Kapuze über den Tisch.
Luisa lag im Bett und starrte ins Dunkel. Im Haus war es still. Auch das Licht im Schlafzimmer ihrer Eltern war erloschen.
Luisa streckte ihren Arm aus und tastete nach dem Schalter ihrer Leselampe. Im Schein des warmen, gemütlichen Lichts setzte sie sich halb auf und schielte zu ihrem Schulranzen, der an seinem üblichen Platz gleich neben ihrem Schreibtisch stand. Normalerweise würde er auch völlig unberührt bleiben an Wochenenden. Sie hatte zig andere Sachen vor am Wochenende und verschwendete keinen Gedanken an die Schule. Außer es stand eine Klassenarbeit an. Dann musste sie doch ein bisschen lernen und üben. Dieses Wochenende war das nicht der Fall. Trotzdem konnte sie ihre Gedanken nicht von ihrem Schulranzen und seinem Inhalt lösen.
Sie musste wieder daran denken, wie sie in dem verlassenen, alten Haus mit Simon vor diesem uralten Regal voller Bücher stand. Simon hatte sie von hinten angetippt und ihr zugeraunt, dass sie schleunigst aus dem doch ziemlich unheimlichen Haus verschwinden sollten. Dank Simons coolem Trick hatten sie das Buch, das Lukas ihnen geklaut und dort versteckt hatte, schnell gefunden. Aber da war dieses Glimmen...
Sie konnte sich nicht von der Stelle rühren, dieser glimmende Buchrücken hatte sie völlig in seinen Bann gezogen. Ein schwacher Schein war von den Verzierungen des Buchrückens ausgegangen. Es hatte sich deutlich vom Rest abgehoben. Simon zeigte sich völlig unbeeindruckt. Ja, er schien dieses Glimmen gar nicht wahrzunehmen. Sie hatte sich umgedreht und hatte ihn gefragt: “Siehst du es auch?” Er hatte sie daraufhin nur verständnislos angeschaut.
“Was meinst du?”, hatte er sie gefragt.
Sie würde sonst nicht mal im Traum auf den Gedanken kommen, Sachen mitzunehmen, die anderen gehörten, aber irgend etwas an diesem Buch sprach sie an. Auf eine Art und Weise, die sie sonst nicht kannte. Sie konnte nicht anders und musste zu diesem Regal gehen. Kurzerhand beschloss sie, das Buch mitzunehmen, schnappte es sich vom Regal und ließ es in ihren Schulrucksack gleiten. Simon hatte sie ganz verwundert angeschaut. “Ich bringe es die nächsten Tage zurück”, murmelte sie ihm zu. Rasch hatte sie in an der Hand gepackt und mit sich nach draussen gezogen.
...
Jetzt saß sie im Bett und fragte sich, was sie da geritten hatte. Sie hatte Simon gar keine Gelegenheit gegeben, zu fragen, wie sie dazu kam, das Buch einfach mitzunehmen. Sie waren sowieso viel zu spät dran und mussten den Heimweg schnell laufen, denn es hatte angefangen zu nieseln. Natürlich hatten sie beide keinen Regenschirm oder Kapuzen dabei gehabt. An ihrer Haustüre hatten sie sich atemlos verabschiedet und Simon war direkt weiter gerannt, um vor dem nächsten Regen noch zu Hause zu sein.
Luisa schlug ihre Bettdecke auf und kletterte vom Bett. Sie hatte das Buch mitgenommen und bevor sie es am Wochenende zurück bringen würde, wollte sie die Gelegenheit nutzen, das Buch näher anzuschauen. Dann könnte sie Simon auch besser erklären, warum sie das Buch hatte mitgehen lassen. Und dass er sie danach fragen würde, war so sicher, wie das Amen in der Kirche! Sie kannte ihren besten Freund. Er würde nicht locker lassen bis sie ihm eine plausible Erklärung lieferte.
Sie kniete sich vor den Schulranzen und griff nach dem Buch. Sie hatte noch nie zuvor solch ein Buch aus der Nähe gesehen. Es sah alt aus. Alt, nicht gebraucht, sondern eher sorgfältig handgemacht. Die Art des Einbandes war von ganz anderer Beschaffenheit als alle Bücher, die sie kannte. Sie konnte nicht sagen, aus was für einem Material der Einband bestand. Von vorne sah er schlicht aus. Er hatte kein Bild und keinen Titel. Lediglich der Buchrücken hatte eine seltsam anmutende Verzierung. Und eben diese hatte in der Dunkelheit des verlassenen Hauses ein seltsam anziehendes, schwaches Licht ausgestrahlt. Komisch, dass Simon es nicht gesehen hatte.
Sie ging mit dem Buch zurück zum Bett und kroch unter die Decke. In ihrer üblichen, gemütlichen Lesepostion betrachtete sie das Buch nochmals genau. Irgendwie war es ein gutes Gefühl, es in der Hand zu halten. Als würde es in ihre Hände gehören. Ihre zuvor unruhigen Gedanken legten sich und sie merkte, wie müde sie eigentlich war. Sie würde sich das Buch gleich morgen genauer anschauen. Mit dem mysteriösen Buch in der Hand, das sie auf eine ganz eigentümliche Weise ansprach, schlief Luisa ein.
Dieses Kapitel wurde von Tania geschrieben und am Freitag, 02. Dezember 2022, 01:49 Uhr veröffentlicht. Es enthält 854 Worte.
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Luisa schlug ihre Augen auf und wusste zunächst gar nicht, wo sie war. Ganz wie in einem nächtlichen Traum, wo man nicht weiß, ob man in der Wirklichkeit ist oder es sich nur um einen Traum handelt.
Um sie herum war es dunkel, ohne dass es sich bedrohlich anfühlte. Sie versuchte, sich ein Bild von ihrer Umgebung zu machen. Sie befand sich im Freien. Der Blick nach oben zeigte einen sternenklaren Himmel. Komischerweise hatte sie das Gefühl, nicht allein zu sein. Sie konnte aber niemanden entdecken. Plötzlich bemerkte sie ein leichtes Schimmern ein paar Meter neben ihr auf dem Boden. Es war das mysteriöse Buch.
Das Buch lag aufgeschlagen neben ihr und das Leuchten auf dem Buchrücken war gedämpft. Das seltsame war, dass es so schien, als würde ihre unmittelbare Umgebung ihren Anfang im Buch nehmen. Fast wie eine Sprechblase, die man aus den Comics kennt und die Simon so gerne liest. Nur war die Sprechblase riesig und reichte bis zum Himmel und zu den Sternen. Sie selbst war in dieser riesigen Blase eingeschlossen.
“Komisch”, dachte Luisa und blickte sich weiter um. “Man könnte meinen, ich bin in der Welt des Buches innen drin.” Es musste ein Traum sein. Anders konnte Luisa es sich nicht erklären. Es musste an diesem wunderschönen Sternenhimmel liegen, dass sie trotz allem keine Angst hatte. Nein, sie wollte sich eher weiter umschauen und diese Umgebung erkunden.
Komisch war dieses Gefühl, nicht allein zu sein, obwohl sie niemanden sehen konnte. “Hallo, ist da jemand?” rief sie in die Dämmerung hinein. Stille. Nein, man hatte das Gefühl, dass sich die Stille noch verstärkte. So, als hätte jemand auf ihre Worte hin den Atem angehalten.
Einem spontanen Impuls nachgebend, beschloss Luisa, dass dies ein guter Traum war und dass sie ihn nutzen wollte, um mehr über ihr mysteriöses Buch herauszufinden. Wo könnte sie das wohl besser, als im Buch selbst? Praktischer Zufall, dass alles danach aussah, dass sie gerade genau dort war. Oh mann, das klang selbst im Traum etwas verrückt. Aber hey, Träume haben keine Regeln. Sie hatte irgendwo mal aufgeschnappt, dass beim Träumen ihr Unterbewusstsein erlebte Dinge verarbeitet. Dann würde sie eben genau dies tun: sie würde den Traum nutzen, um ihr Erlebnis mit dem seltsamen Buch zu verarbeiten. Wer weiß, vielleicht war sie am Ende schlauer.
Sie beschloss so zu tun, als wäre da jemand in der Dämmerung um sie herum, der sich nicht traute herauszukommen. Immerhin war sie so einfach in seine Welt eingedrungen. Komischerweise ging sie gleich von einem “er” aus. Vielleicht weil ihr bester Freund Simon auch ein Junge war, mit dem sie sonst alles teilte.
Warum auch nicht? Es war ihr Traum und keiner würde erfahren, dass sie einem imaginären Wesen ihre verrückten Gedanken erzählt hatte. Sie beschloss sich erst mal vorzustellen. “Ich weiß zwar nicht, wer du bist, aber ich bin Luisa”, fing sie an. “Du wirst nicht glauben, was ich heute erlebt habe.” Und so erzählte sie in die Dämmerung hinein was ihr und Simon nach der Schule widerfahren war. Wie sie Lukas nachgejagt waren und zum verlassenen Haus kamen. Während sie vor sich hinplapperte, merkte sie, dass diese unterschwellige Anspannung, die sie vorhin gespürt hatte, etwas nachließ. Ganz so, als würde sich ihr unsichtbarer Zuhörer unmerklich entspannen. Sie erzählte also weiter.
Zuhause war ihre Mutter überzeugt, dass sie das Zeug hätte, ein spannendes Buch zu schreiben. Sie verstand es anscheinend, das Erzählte so zu verpacken, dass man ihr gern zuhörte. Also ließ sich von ihrem Bauchgefühl leiten und ging etwas mehr ins Detail. Traute sich sogar, von ihren seltsamen Gefühlen gegenüber dem mysteriösen Buch zu erzählen. Sie erzählte, dass sie sich irgendwie von dem Buch angezogen fühlte, aber es sich nicht erklären konnte, warum.
Am Ende fragte Lusia: “Hast du eine Idee was das Ganze soll? Immerhin ist es ja nicht mein Buch, ich sollte es besser zurückbringen in das verlassene Haus. So wie ich es Simon auch erzählt habe.” sinnierte sie weiter.
Plötzlich merkte sie, dass sich die Stimmung in der Luft wieder änderte. So, als würde sich ihr stiller Zuhörer gegen den Gedanken sträuben, dass sie das Buch wieder in das verlassene Haus zurück brachte. Ihrer Intuition folgend fragte sie: “Was hast du denn dagegen? Soll ich das Buch etwa nicht zurückbringen?”
Sie erwartete jeden Moment eine Stimme, die ihr antwortet. Es fühlte sich wirklich so an, als würde ihr jemand zuhören. Als würde ihr dieser Jemand antworten wollen, aber konnte es nicht. Daher schlug sie vor: “Wenn du dich mir nicht zeigen willst und auch nicht mit mir reden kannst... dann lass mich irgendwie anders wissen, was ich deiner Meinung nach mit diesem Buch machen soll: zurückgeben oder nicht?”
Sie kam sich ziemlich bescheuert vor, weil sie da saß und mehr oder weniger mit sich selbst sprach. “Dann mach's mal gut.” seufzte sie.
Luisas Blick wandte sich noch mal nach oben zum sternenklaren Himmel. Dieser Himmel hatte es ihr wirklich angetan. Sie hatte das Gefühl, sie müsste ihn sich gut einprägen, bevor sie aus diesem Traum wieder aufwachte. Ihr unsichtbarer Gesprächspartner schien zu spüren, dass sie bereit war, sich zu verabschieden und aus ihrem Schlaf aufzuwachen. Sie meinte sogar zu spüren, dass etwas Gehetztes in der Luft lag. So, als würde ihr stiller Zuhörer sie noch eine Weile im Buch behalten wollen.
Während sie ihren Gedanken nachhing, merkte sie, wie sich um sie herum die Stimmung wieder änderte. Ein ganzes Stückchen von ihr weg begann die Luft zu flimmern. Das dämmrige Licht wurde zunehmend heller an dieser Stelle. Mitten im Licht sah sie sich mit dem Buch in der Hand in ihrem Bett daheim liegen. Es war, als würde sie vor dem Fernseher sitzen und einen Film anschauen, in dem sie selbst mitspielte. Sie sah gebannt zu, wie ihr Abbild das Buch aufschlug und wie sich dabei das Zimmer mit ihrem Bett darin verwandelte. Plötzlich war ihr Abbild nicht mehr in ihrem Zimmer in ihrem Bett, sondern unter einem sternenklaren Himmel und schaute hinauf.
“Schaue ich mir da gerade selbst zu, wie ich in dem Traum abgekommen bin?” Luisa kniff ihre Augen ungläubig zusammen und als sie sie wieder aufschlug, war nichts mehr zu sehen. Sie war wieder allein unter dem sternenklaren Himmel ihres Traumes, wie am Anfang. Sie holte tief Luft und fragte in die Leere hinein: “War das etwa deine Art, mir zu zeigen, was das Ganze hier soll? Willst du mir etwa sagen, dass das mysteriöse Buch mich in diesen Traum reingebracht hat? Ich weiß immer noch nicht was ich tun soll.” murmelte sie. Wiederum fing die Luft an, hell zu flimmern. Diesmal sah sie sich im Bett liegen und schlafen. Auf ihrem Nachttisch neben der Leselampe lag das Buch so, als würde es ihr gehören. Ganz so, als hätte sie es vor dem Schlafengehen dort hingelegt, nachdem sie darin geschmökert hatte. Wieder verschwamm das Bild und sie war wieder allein in ihrer Traumwelt unter dem Sternenhimmel.
Sie meinte aber zu verstehen, was ihr stiller Zuhörer ihr sagen wollte. “Ich soll also das Buch nicht zum verlassenen Haus zurückbringen, sondern erstmal behalten?” raunte sie. Um sie herum herrschte friedliche Stille. Die Sterne am Himmel schienen heller zu leuchten.
Ganz so, als wären sie und ihr unsichtbarer Gesprächspartner einverstanden mit ihrer Schlussfolgerung.
Dieses Kapitel wurde von Tania geschrieben und am Samstag, 03. Dezember 2022, 03:09 Uhr veröffentlicht. Es enthält 1209 Worte.