Kapitel 04 - In dem bei dem Buch übernachtet wird

“Das Buch wurde betreten!”, sagte die gleiche kratzige, dunkle Stimme in dem gleichen fast ganz dunklen Raum über dem gleichen riesigen, kreisrunden Holztisch. Wieder saßen um den Tisch herum Gestalten in dunkelgrünen Mänteln mit den riesigen Kapuzen. Wieder konnte man nichts von den Gestalten oder ihren Gesichtern sehen.

“Woher wissen wir das?”, fragte die bekannte meckernde, hohe Stimme aus einer der Roben. “Das Buch wurde schon lange nicht mehr betreten, warum ausgerechnet jetzt?”

“Wir haben Spuren gefunden. Die Energie wurde jetzt sogar mit den Konzentratspulen aufgezeichnet. Eine Energie, die wir noch nie gemessen haben. In keiner Rolle im Archiv ist etwas Derartiges verzeichnet”, sagte die kleine Stimme, dieses Mal sicher und bestimmt, vielleicht sogar mir einer Spur Ungeduld.

Nur die Gestalt mit der besonders großen Kapuze blieb dieses Mal still.


“Mama, darf Simon am Wochenende bei uns übernachten?” Luisa packte ihren ganzen Charme aus und streichelte ihrer Mutter über die Schulter. Sie hatte fertig gefrühstückt, sogar alle ihre Sachen vom Tisch in die Spülmaschine geräumt und war auf dem Weg ins Badezimmer, um die Zähne zu putzen. Ganz wie zufällig war sie bei ihrer Mutter vorbeigelaufen, die gerade noch die Tasse Cappuccino über der dritten Seite der Zeitung austrank.

“Schon wieder?”, fragte ihre Mutter beiläufig. “Wird Simon zu Hause nicht ein bisschen vermisst? Mir kommt es vor, als ob er seit den Sommerferien jede 2. Woche hier übernachtet hat.” Luisa legte ihr noch zwei Stückchen Paprika auf den Frühstücksteller. Paprika mochte ihre Mutter besonders.
“Och bitte, Simons Mama ist total froh, wenn sie mal ausschlafen darf.”
“Das wäre ich auch an ihrer Stelle.”
“Wir lassen dich schlafen, versprochen. Bis um neun!” Luisa legte eine Hand auf die Zeitung, genau auf den Artikel, den ihre Mutter gerade las.
“Versprochen?”
“Na gut. Aber du richtest sein Bett her.”
“Super! Klar, mach ich. Danke, Mama!” Luisa hüpfte einen kleinen Glückshüpfer, drückte ihrer Mutter einen Kuss auf die Backe und rannte ins Bad.


Nach der Schule hatte sich der Nachmittag hingezogen wie Kaugummi. Als die Türklingel ertönte, wusste sie sofort, dass Simon draußen stand.
“Komm, rein, wir müssen dein Bett richten!” rief sie atemlos und ließ einen verdatterten Simon im Türrahmen stehen, packte seine Tasche und rannte die Treppe hoch zu ihrem Zimmer.
“Was ist denn mit dir los?”, fragte Simon verwundert. “Du bist doch sonst nicht so eine Früh-Ins-Bett-Geherin.” Luisa drehte sich um und legte einen Finger über die Lippen.
“Es gibt ein Geheimnis”, murmelte sie leise.


Nach dem Abendessen wollte Simon unbedingt noch mit Luisa und ihren Eltern ein Spiel spielen. Luisa hatte überhaupt kein Verständnis dafür. Aber weil sie Angst hatte, dass ihre Eltern Verdacht schöpfen würden, machte sie einfach mit und vergass dabei beinahe das Buch und ihren Plan. Simon liebte die Spiele bei Luisa. Sein großer Bruder wollte nie mit ihm spielen und sein Vater kam sowieso meist zu spät von der Arbeit und war dann oft abwesend und nicht besonders interessiert am Spielen. Luisas Eltern hingegen spielten gerne und hatten auch ganz viele und sehr verschiedene Spiele. Luisas Mutter war meistens ziemlich gut und Simon wollte sie unbedingt schlagen. Sein Ehrgeiz erwachte meist bei der zweiten Runde und ab und an war er am Ende des Abends der knappe Sieger der Runden. Luisa spielte meist mit und es war ihr wichtiger, dass alle miteinander auskamen und es ein lustiger Abend war, als dass sie sich ums Gewinnen scherte. “Es ist doch nur ein Spiel”, hatte sie von ihrer Oma oft gehört und inzwischen verstand sie auch, was ihre Oma damit meinte.

“Gute Nacht, ihr beiden”, sagte Luisas Papa und schloss die Türe leise. Endlich konnte Luisa Simon von ihrem Geheimnis berichten.

“Simon, du weisst doch, dieses Buch...”
“Ah, gut, du willst es also zurück bringen?”, fiel ihr Simon schnell ins Wort.
“Nein! Im Gegenteil, hör mir zu. Ich habe es gestern vor dem Einschlafen nochmals in der Hand gehabt und da war ein ganz komisches Gefühl. Wie wenn es mir gehören würde.”
“Wirklich?”, fragte Simon ungläubig. “Ist es nicht nur, weil du es einfach so mitgenommen hast? Es gehört den Besitzern des verlassenen Hauses. Vielleicht hatten die alten Leute ja Kinder und Enkel und die werden es bestimmt vermissen. Und selbst wenn die noch nie dort gewesen sind, gehört es denen.”

“Nein, Simon, es war ganz anders. Hör mir doch erst mal richtig zu”, entgegnete Luisa ein bisschen ungeduldig. “Ich habe es ja nicht mal aufgemacht oder angeschaut. Ich hatte es nur in der Hand. Vor lauter Aufregung habe ich es sicherheitshalber im Ranzen gelassen und auch als Mama gegangen war, hab ich es nur festgehalten. Und da war dann das Gefühl. Es hat mich unheimlich beruhigt.”

Simon hörte nun zu und unterbrach sie nicht mehr. Er hatte bemerkt, dass es ihr um etwas Wichtiges ging und er wollte erst alles hören, denn er verstand seine Freundin nicht wirklich. Noch hatten sie nicht in das alte schwere Buch hinein geschaut. Er war zwar auch neugierig, aber gleichzeitig hatte er ein schlechtes Gewissen. Er hätte sowieso nicht in das verlassene Haus gehen wollen. Nur weil Luisa voraus ging, konnte er sie nicht alleine lassen.

“Und jetzt kommt das Komische: ich bin eingeschlafen und habe von dem Buch geträumt. Das Buch hat mich mitgenommen, ich war plötzlich wo anders. Das war kein gewöhnlicher Traum, das war wie eine Reise”, flüsterte Luisa eindringlich und aufgeregt.
“Ich habe einen Sternenhimmel gesehen, ich habe mit dem Buch gesprochen und es hat irgendwie geantwortet. Es war, wie wenn ich seine Gedanken lesen könnte.” Luisa schluckte und Simon kräuselte seine Stirn.

“Hört sich verdammt seltsam an, Luisa. Wahrscheinlich ein Alptraum. Hast du zu viel gegessen oder so? Mein Papa stöhnt nachts oft, wenn er abends zu viel gegessen hat. Manchmal höre ich das, wenn ich wach liege.”
“Nein, das war genau das Gegenteil. Ein schöner Traum, kein Alptraum. Und weisst du was?” Sie nahm seine Hände und sah ihn eindringlich an, direkt in seine Augen.

“Heute Nacht träumen wir zusammen!”

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Dieses Kapitel wurde von Magnus geschrieben und am Sonntag, 04. Dezember 2022, 03:25 Uhr veröffentlicht. Es enthält 998 Worte.

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