Kapitel 07 - In dem Naturgewalten besiegt werden

“Sie sind zu zweit!”, sagte die bekannte kratzige, dunkle Stimme in dem bekannten, fast ganz dunklen Raum über dem inzwischen vertrauten, riesigen, kreisrunden Holztisch. Immer noch saßen um den Tisch herum Gestalten in dunkelgrünen Mänteln mit... ja, tatsächlich, immer noch mit riesigen Kapuzen. Trotzdem konnte man wieder nichts von den Gestalten oder ihren Gesichtern sehen.

“Woher wissen wir das?”, fragte die unvermeidliche, meckernde, hohe Stimme aus einer der Roben.
“Erst ein Wesen, jetzt zwei. Wollen das nächste Mal dann drei oder noch mehr kommen? Warum erfahren wir das immer erst danach?”

“Wir haben sie beobachtet. Es sind junge Wesen, kaum 100 Jahre alt, wahrscheinlich viel weniger. Nichts aus der Unendlichkeit. Sie machen keinen gefährlichen Eindruck. Sie sind zu klein, um durch unsere Wandelblocker abgehalten zu werden”, sagte die kleine Stimme, dieses Mal nachdenklich, mit einer kleinen Prise Neugier.

Die besonders große Gestalt brummte nur und legte eine riesige Pfote auf den Tisch. Sechs scharfe Krallen klackerten auf dem Holz.
“Mein Plan sieht folgendermassen aus...”


Luisa, Simon und ihre beiden Wegbegleiter sahen sich bald gezwungen, eine Verschnaufpause einzulegen. Gierig nahmen sie beide Riesenschlucke aus ihren Trinkflaschen. Der alte Mann saß zusammengesunken da und machte einen völlig erschöpften Eindruck. Der Jüngere schielte immer wieder zu ihren Trinkflaschen.

Plötzlich wurde Luisa klar, dass die beiden kein Trinkwasser mehr hatten. Luisa und Simon schauten sich an und verständigten sich wortlos. Simon nickte ihr zu und Luisa gab ihre Trinkflasche an den Jüngeren der beiden weiter mit den Worten: “Hier, teilen sie es sich gut ein für den Rest des Weges.” Der Alte hob müde den Kopf und bedankte sich mit einem Lächeln, während der jüngere Mann verschämt die Augen senkte. Denn ihm war klar, wie selbstlos und großzügig die beiden Freunde sie auf dem Weg nach oben unterstützten. Den Kindern konnte unmöglich entgangen sein, dass sie ihre Chance darauf, oben heil anzukommen, immer mehr verspielten.

Nach der kurzen Verschnaufpause rappelten sich die Vier wieder auf und machten sich weiter an den Aufstieg, der unwegsam und abweisend vor ihnen lag. Auf einmal war ein seltsamer Laut zu hören. Luisa horchte auf und versuchte durch den Nebel etwas zu erkennen.
“War das etwa ein Wiehern?!”, fragte sie ungläubig in die Runde. Tatsächlich sah sie schemenhaft die Umrisse eines Mustangs auf dem Weg vor ihnen. Die Pferdenärrin Luisa wusste, wie trittsicher Mustangs auf unwegsamem Gelände sein konnten. Und vor ihnen stand tatsächlich ein prächtiges und kräftiges Exemplar auf dem Weg.

Als sie näher kamen, schüttelte der Mustang wild seine Mähne und schnaubte laut. Er machte den Eindruck, als würde er ihnen seine Hilfe anbieten. Luisa näherte sich dem Mustang vorsichtig und flüsterte ihm beruhigend zu.
“Würdest du uns den Weg hinauf helfen? Wir könnten deine Hilfe gut gebrauchen. Wir haben ein Seil, das wir dir anlegen könnten, um den Wagen zu ziehen…”, fuhr sie fort. Wieder schnaubte der Mustang, als würde er zustimmen. Luisa stand jetzt in Armeslänge bei ihm und streckte die Hand aus, um ihm über die Nüstern zu streicheln. Gerade in diesem Moment wandte der Mustang seinen Kopf zur Seite, so dass Luisa einen Blick auf seine Augen werfen konnte.

Der Mustang hatte ganz ungewöhnliche Augen. Sie erinnerten Luisa an Tigeraugen die ihrem Blick wach begegneten. Als ihre Hände seine Nüstern berührten, erstarrte das Tier für einen Augenblick, fast wie wenn Berührungen etwas Ungewohntes für ihn wären. Da er jedoch weder erschrak, noch Anstalten machte, erschrocken wegzuspringen, schlang Luisa ihm das Seil um Hals und Brustkorb, führte ihn vor den Sitzwagen des alten Mannes und spannte ihn daran an. Mit Hilfe des trittsicheren Mustangs, der willig den Wagen zog, kamen sie jetzt wesentlich schneller voran.

Inzwischen hatte es angefangen wie aus Eimern zu schütten. Helle Blitze zuckten über den Himmel und unmittelbar darauf kam stets ein gewaltiges Donnern. Das Gewitter schien sich genau über ihnen zu befinden. Der Aufstieg wurde nun sehr schlammig und glitschig. Mehr als einmal mussten sich die vier Bergsteiger am starken Körper des Mustangs festhalten, um nicht abzustürzen. Endlich kam die Spitze des Berges in Sicht. Oben auf dem Gipfel angekommen, blieb der Mustang zitternd stehen und schnaubte schwer. Dankbar strich ihm Luisa über den Hals und flüsterte: “Dich hat uns der Himmel geschickt. Ohne dich hätten wir es nie und nimmer geschafft!” Simon nickte zustimmend und versuchte seine pitschnassen Jackenärmel auszuwringen.

Just in diesem Moment hörte der Regen auf und die Sonne drückte sich mühsam zwischen den Wolken hervor. Luisa atmete auf und band den Mustang vom Wagen los. Dieser warf zum Abschied seinen Hals zurück und trabte davon. Luisa schaute ihm hinterher, bis er aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Sie würde das Tier mit den seltsamen Tigeraugen nicht vergessen und komischerweise irgendwie auch ein bisschen vermissen.

Sie drehte sich um und bewunderte mit den anderen die einzigartige Aussicht, welche sich vor ihnen erstreckte. Von dem steilen schwebenden Berg konnte man dahinter in eine Vielzahl von Tälern sehen, die alle in leuchtenden Farben blühten.

Der Alte, der aus dem Sitzwagen ausgestiegen war, wandte sich ihnen beiden zu und sagte: “Wir sind euch sehr dankbar für eure Hilfe. Wie können wir uns erkenntlich zeigen?” Simon und Luisa blickten sich an.
“Wissen sie, wir sind hier auf der Suche nach einem Stein der Weisheit. Uns wurde gesagt, dass hier jedoch noch nie ein Stein gefunden wurde, obwohl viele danach gesucht haben”, erwiderte Simon. Da schauten der junge und der alte Mann einander an und drehten sich ihnen beiden lächelnd zu.
“Das ist kein Wunder, denn wir beide sollten den Stein der Weisheit nach hier oben bringen. Er gehört auf diesen Berg als Belohnung für die Mühen der Besteigung. Er war abhanden gekommen und wir haben den Auftrag, ihn wieder zurück zu bringen. Doch so oft wir es versucht haben - ohne Hilfe waren wir nie in der Lage, es bis nach oben zu schaffen. Vor euch beiden hat uns nie jemand geholfen, den Berg zu erklimmen.”, sagte der junge Mann.
“Einige Abenteurer hatten die Besteigung des schwebenden Berges versucht, doch jeder war eifrig darauf bedacht, so schnell wie möglich vor dem Regen den Berg zu erklimmen. Sie konnten den Stein nicht finden, weil er schlichtweg noch nicht oben war! Ihr jedoch wart mitfühlend und selbstlos in eurer Hilfe. Daher seid ihr auch würdig, den Stein der Weisheit zu erhalten”, sagte der Ältere der beiden. Der Mann griff in das Innere seines Gewands, holte einen seltsam geformten, rot schimmernden Stein hervor und reichte diesen Luisa.

Luisa und Simon sahen sich mit riesigen Augen an und konnten nicht fassen, dass sie es tatsächlich geschafft hatten, den ersten Teil des Rätsels zu lösen und diesen Stein zu bekommen. Und das, obwohl es zwischendurch ganz danach aussah, als würden sie es nicht mal bis nach oben auf den Berg schaffen. Sie erkannten staunend, dass gerade ihre Hilfsbereitschaft sie zum Ziel geführt hatte.

Zwei goldbraune Augen blickten wie gebannt auf diese Szene.


Das war es also, was ich all die Jahre übersehen habe! Die beiden Hilfsbedürftigen waren in diesem Fall der Schlüssel zum Ziel. Darauf wäre ich nie gekommen. Die beiden Kinder haben es tatsächlich auf Anhieb geschafft, die Herausforderung zu meistern.

Ich muss zugeben, dass es ein bisher unbekanntes, aber angenehmes Gefühl war, mit den vier Menschen erschöpft oben auf dem Berg zu stehen. Und Luisa... Luisa hat mich überrascht, als sie sich atemlos bei mir bedankt hat. Sie hat sich bei einem Pferd bedankt! Sie konnte ja nicht ahnen, dass ich es bin. In einer anderen Situation hätte ich sie für völlig übergeschnappt gehalten und sie innerlich ausgelacht. Doch sie hat mir zum Dank sogar über meinen Hals gestrichen! Diese einfache Geste, verbunden mit ihren Worten hat mich auf eine sonderbare Weise berührt.

Was für ein Unsinn! Ich muss diese irrwitzigen Gedanken wieder loswerden, sofort!

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