Kapitel 17 - In dem ein zweiter Stein gewonnen wird

Luisa sah den Fuchs und sofort erkannte sie ihn an seinen goldbraunen Tigeraugen wieder.
“Mensch, Leute, er kann sich verwandeln! Das ist er, unser Tigerfreund. Dieses Mal als Fuchs”, staunte Luisa. Simon und Song trauten der Sache nicht ganz.

Der Fuchs stellte sich neben Luisa und blickte in Richtung Drachenmutter.
“Auf was wartest du? Ich dachte du wolltest rein und das Drachenjunge holen”, hörte sie die bekannte Stimme in ihrem Kopf.
“Ich komme mit dir. Als Fuchs passe ich besser durch die schmale Öffnung”, bestärkte sie der Fuchs in ihrer Absicht.

Luisa war dem Fuchs dankbar, denn sie wollte nicht, dass Simon oder Song sich wieder in Gefahr brachten. Wenn etwas schief gehen sollte in der Höhle, wollte sie die beiden nicht da drin haben. Schließlich hatte sie die Jungs heute schon mal in Gefahr gebracht. Mit dem Fuchs an ihrer Seite fühlte sie sich tatsächlich sicher genug, um in die Höhle zu gehen. “Notfalls könnte er uns beide ja wieder raus teleportieren”, erklärte sie Simon und Song, die sie nicht gehen lassen wollten.
“Sollten wir Hilfe von außen brauchen, seid ihr ja da”, argumentierte Luisa und versuchte ihre Freunde zu überzeugen.

Widerwillig ließen die Jungs Luisa mit dem Fuchs Richtung Höhle ziehen. Wieder zurück bei der Drachenmutter sagte Luisa: “Der Fuchs und ich gehen da zusammen rein. Vielleicht kannst du deinem Kleinen sagen, dass er keine Angst zu haben braucht.” Der Drache nickte und beruhigte das Drachenjunge mit gurrenden Lauten.

Währendessen zwängten sich Luisa und der Fuchs durch die schmale Öffnung. Sie musste ein ganzes Stück kriechen, bis sie sich endlich wieder aufrichten konnte. Hier in dem eingestürzten Gang war etwas mehr Platz, aber die Steine schienen dort wackelig zu sein. Es knirschte und knarrte bedrohlich um sie herum, so als würde bald wieder ein Stück der Höhlendecke herunter brechen und sie dann darunter begraben.

Da schob sich ihr Weggefährte, der Fuchs, vor sie hin und bedeutete ihr, stehen zu bleiben. Luisa gehorchte. Der Fuchs spannte seinen Körper an, sein Fell sträubte sich und plötzlich sah Luisa im Dämmerlicht ein Flimmern in der Luft. Ein Flimmern, das sich um den Fuchs herum ausbreitete. Es erinnerte sie an ihre erste Traumwelt unter dem Sternenzelt und ihren stillen Zuhörer damals.

“Du bist es und du bist in diesem Buch gefangen!”, entschlüpfte es Luisa, als sie erkannte, dass der Fuchs ihr stiller Zuhörer aus dem ersten Abenteuer gewesen sein musste. Er hatte sie wohl während ihrer Reisen immer wieder begleitet und sich in jeweils andere Tiere verwandelt. Die Tigeraugen und das Flimmern waren der Hinweis und daran erkannte sie ihn.

Der Fuchs ließ sich nicht stören und sie sah, dass sich sein flimmerndes Licht an die Höhlenwände legte. Zugleich hörte das Ächzen und Knirschen der wackeligen Felswände auf. Luisa begriff, dass der Fuchs mit seiner Kraft versuchte, die Höhlenwände vor dem Einsturz zu bewahren. Das musste ihn unheimlich viel Kraft kosten. Wer weiß, wie lang er das noch durchhalten würde.

Sie spitzte ihre Ohren und versuchte auszumachen, wo das Drachenjunge war. Sie ging zielstrebig dem leisen Wimmern entgegen. Das führte sie zum unterirdischen See. Da lag das Drachenjunge ganz verloren am Ufer, wo zuvor seine Mutter geschlafen hatte. Luisa hatte keine Lust, nochmals durch den See zu schwimmen. Der Fuchs schien ihre Gedanken zu lesen und trat von hinten an sie heran. Sein buschiger Schwanz streifte ihre Beine und sie spürte wieder das Kribbeln. Mit einem Mal standen sie beide ein paar Meter entfernt vom Drachenjungen am anderen Ufer.

Der kleine Drache sah fast so aus, wie seine Mutter. Lediglich sein Schuppenkleid war ein bisschen anders, es hatte eine tiefgrüne, gleichmässige Farbe, nicht so fleckig und verfärbt, wie seine Mutter. Und seine sonderbaren Augen waren hellgrün. Luisa ging in die Hocke und streckte ihre Hand aus. So, wie sie es bei einem Hund tun würde, damit er an ihr schnuppern könnte. Und tatsächlich kam ihr der kleine Drache ein paar Schritte entgegen und streckte seinen Hals, um sie zu beäugen.

“Beeil’ dich!”, klang eine angestrengte Stimme in ihrem Kopf. “Du musst ihn anfassen, damit ich euch hier rausschaffen kann!”, drängte die Stimme. Sie schaute zum Fuchs, der neben ihr stand und sie spürte sein Fell an ihrem Bein. Der Fuchs zitterte vor der Anstrengung, die Höhlenwände stabil zu halten. Luisa musste unbedingt den Kontakt mit dem Fuchs halten und strich dem kleinen Drachen mit einem ausgestreckten Arm vorsichtig über den Kopf. Ein Sirren und das Kribbeln am ganzen Körper zeigte Luisa, dass der Fuchs den Augenblick nutzte und sie mit letzter Kraft aus der Höhle heraus brachte.

Sie landeten auf der Lichtung vor dem Wasserfall, direkt neben Simon und Song. Ihre Freunde erschraken sehr durch ihr plötzliches Auftauchen. Im selben Moment krachte es gewaltig. Die ganze Felsenhöhle stürzte vollends ein und der vorher meterhohe Wasserfall wurde nun zu einem kümmerlichen, kleinen Rinnsal.

Luisa schaute zum Fuchs. Der schnaufte angestrengt, so als hätte er einen Marathonlauf hinter sich gebracht. Er musste sich total verausgabt haben. Sie hätte es nie ohne seine Hilfe geschafft, den kleinen Drachen und sich selbst aus der Höhle zu retten. Bei dem Gedanken wurde es ihr ganz mulmig.

Die Drachenmutter hatte ihr Junges gerochen, noch bevor die Höhle einstürzte und sich auf den Weg zu ihnen gemacht. Simon und Song machten ihr Platz. Auch der kleine Drache hatte seine Mutter gespürt und lief ihr auf seinen kurzen Beinen entgegen.

Die Szene, die darauf folgte, war herzerweichend. Die Drachenmutter stupste ihr Junges sanft mit der Nase an und das hopste vor lauter Wiedersehensfreude auf und ab wie ein Flummi. Schließlich nahm die Drachenmutter ihr Junges sanft hoch und setzte es zwischen ihren Flügeln auf dem Rücken ab. Von dort schielte der Kleine dann hinunter und fiepste fröhlich zu Luisa und ihren Freunden. Das hätte glatt als Dank für die Rettung aus der Höhle durchgehen können.

Schließlich wandte sich die Drachenmutter an die Freunde. Mit bewegter und vibrierender Stimme sagte sie zu Luisa: “Ich danke dir für deine Hilfe! Ich habe dich unterschätzt. Dein Mut und deine Tapferkeit haben meinen Kleinen gerettet.”

“Ich hätte es alleine nicht geschafft!”, erwiderte Luisa darauf und schaute zu dem Fuchs mit den Tigeraugen und zu ihren Freunden. Vor kurzem hatten die Augen der Drachenmutter in der Höhle noch boshaft gewirkt. Nun hatten sie einen ganz anderen Ausdruck, sie leuchteten weise auf und die Drachenmutter sagte zu ihnen: “Gemeinsam ist man immer stärker als allein. Bewahrt es euch!”

Anschließend neigte sie den Kopf und verkündete mit fester Stimme. “Ihr habt euch würdig gezeigt. Der Stein der Weisheit soll euch gehören!” Mit diesen Worten hob sie den linken Flügel und direkt an dessen Ansatz sahen sie eine Tasche im Schuppenkleid des Drachen.

“Na, traust du dich, Kleine?”, fragte der Drache sie schmunzelnd. Diesmal war nichts Bedrohliches an diesem Schmunzeln. Die Rettungsaktion schien die Drachenmutter gezähmt zu haben! Luisa schaute zu Simon und Song. Auch sie hatten den Stimmungsumschwung bemerkt und machten jetzt einen wesentlich entspannteren Eindruck. “Nur zu, Luisa!”, rief Song. “Auf, Luisa!”, rief ihr auch Simon ermutigend zu.

Luisas Blick wandte sich zum Fuchs, der sie ebenfalls anschaute. “Auf was wartest du?”, hörte sie die inzwischen bekannte Stimme in ihrem Kopf. Sie starrte stirnrunzelnd in die goldbraunen Augen und fragte sich: “Ich bin die Kleinste hier. Wie soll ich denn da bitte hochkommen?””

Simon und Song schauten voller Respekt hoch zum Drachen. Der schien sich über das Dilemma der Freunde köstlich zu amüsieren. Schließlich hatte er Erbarmen, beugte seine Knie und legte sich nieder. Auch im Liegen war der Drache noch zu groß, als das Luisa oder einer der Jungs an den Flügelansatz heran gekommen wäre. Schließlich stupste Song seinen Freund Simon an: “Komm, Simon! Das schreit nach einer Räuberleiter! Lass uns die Kleine hochheben.” Sie verschränkten die Hände, Luise setzte ihre Füsse hinein und kletterte auf deren Schultern. So konnte sie sich auf die Zehenspitzen recken, um an die Tasche im Schuppenkleid des Drachen heran zu kommen. Vorsichtig holte sie das runde harte Etwas heraus. Sie raunte dem kleinen Drachenkopf, der über den riesigen Drachenflügel lugte, noch zu: “Tschüss mein Kleiner. Pass auf dich und deine Mama auf!” und rutschte dann an den rauhen Schuppen wieder hinunter auf den Boden. Der zweite Stein der Weisheit lag warm in ihrer Hand.

Der riesige Drache entfernte sich von Ihnen und breitete seine Schwingen aus. Dann hob er mit kraftvollen Schwüngen in den Himmel ab. Oben drehte er noch eine Runde zum Abschied und flog dann davon.


Da fliegt er hinfort!
Nach all dem Erlebten, muss ich erst einmal tief durchatmen...
Kaum zu glauben! Der zweite Stein der Weisheit ist gefunden. Dass der Drache ihn freiwillig herausgerückt hat. Das ist allein Luisas Verdienst. Die Rettung seines Jungen hat den Drachen weich werden lassen. Ich muss gestehen, ich hätte einen anderen Weg gewählt, wenn ich auf den Drachen gestossen wäre.

Mit meiner einzigartigen Macht hätte ich den Drachen sicherlich besiegt. Ja, dazu wäre ich bestimmt in der Lage gewesen. Ich bin grossartig und habe meine Kräfte perfektioniert. Wer will es schon mit mir aufnehmen?!

Das Schicksal hat mir zwei lächerlich einfach Kräfte zugespielt. Ich kann zum einen die Teilchen jedes Gegenstands oder Wesens auseinander nehmen und wieder zusammensetzten. Ich kann Dinge zerbröseln und wieder zusammensetzen und sie sind wie zuvor. Spektakulär, aber zu nichts nütze!

Zum zweiten kann ich Energie aus der Umgebung bündeln, sie bewegen. Ich kann die Wärme eines Sonnestrahls von aussen in eine Höhle versetzen oder die Kraft des Windes umlenken. Nützlich, ja, aber nicht wirklich mächtig, wenn nicht gerade ein Sturm im Gange ist.

Nur durch meine langjährige Übung und die täglichen anstrengenden Rituale konnte ich diese beiden Kräfte aber zu etwas besonderem machen. Ich kann mich nun selbst auseinander nehmen und zu einem anderen Wesen zusammen setzen. Und ich bleibe stabil, falle nicht wieder auseinander.

Die Krönung meiner Macht ist aber, nicht mehr nur Energie zu versetzen, sondern tatsächlich die Brösel eines Wesens durch den Raum senden zu können. Damit wird meine Macht spektakulär und ich kann sie vielseitig einsetzen! Ich zerbrösele mich, versende mich im Nu an eine andere Stelle und setze mich wieder zusammen. Und nicht nur mich. Alles, was ich berühre, kann ich ebenso leicht zerbröseln und transportieren.

So konnte ich die Kinder in der Welt des Wasserfalls aus der Drachenhöhle hinaus nehmen. Ich konnte auch den Drachen mit seiner unglaublichen Kraft gegen die Felsen schleudern, als er vor blinder Wut angreifen wollte. Ich hätte ihn besiegt! Verderben über meine Feinde!

Aber den Drachen zu besiegen, hätte in diesem Fall nicht zum Stein geführt. Ohne den Drachen, der den Stein selbst herausgerückt hat, hätte ihn sicherlich niemand bekommen. Wieder einmal hat Luisas gutherzige Entscheidung, sich um das Drachenjunge zu sorgen und es zu retten, sie an das Ziel gebracht. Mich an das Ziel gebracht. Erstaunlich!

Ich schüttle immer noch den Kopf, ungläubig, aber auch beeindruckt.

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